Sehr geehrte Frau Geschuhn, vielen Dank für die Links zum Kostenmodellierungstool der MPDL.
Nachdem ich mir das Tool gründlich angesehen habe, halte ich einen wesentlichen Punkt im Modell für sehr kritisch und befürchte, dass dadurch unrealistische Ergebnisse für die 5 Szenarien produziert werden, die in allen Fällen Prognosen zugunsten der DEAL
Kostenschätzung erzeugen. Herr Dér, der wohl auch an der Konstruktion des Modells mitgewirkt hat, hat im How-To-Webinar am 29.7. bestätigt, dass das Modell ein exponentielles Wachstum
für die Zahl der Hybrid OA Artikel annimmt. Dies kommt dadurch zustande, dass die durchschnittliche Wachstumsrate der Jahre vor DEAL (in der Frühphase der Transformation), für die ja Daten vorliegen, 1:1 in die Zukunft projiziert wird. Angenommen werden Raten
von ca. 20 % Zuwachs pro Jahr (bei Springer 18,3 bei Wiley 21,5). Diese Annahme ist rein hypothetisch, es wären diverse andere Formen von Wachstum, z.B. lineares Wachstum denkbar, leider wird die Annahme eines exponentiellen Verlaufs nirgends näher begründet.
Tatsächlich wird in der Innovationsforschung logistisches Wachstum und kein exponentielles Wachstum erwartet, wenn es um die Ausbreitung von Neuerungen
in einem Markt geht. Dies ist auch empirisch gut belegt (die englischsprachige Wikipedia liefert hier einen guten Einstieg und zugehörige Verweise zur umfangreichen Literatur: Standardmodell für
Diffusion von Innovationen nach Rogers:
https://en.wikipedia.org/wiki/Diffusion_of_innovations). In einer graphischen Darstellung sieht das so aus [Abbildung 1]: In der Frühphase der Transformation sind beide Kurven identisch, dann sinkt aber die Zahl der Autoren, die Hybrid – OA wählen im Standardmodell deutlich
ab, während sie sich beim exponentiellen Verlauf im Kostenmodellierungstool noch beschleunigt. Ich nehme an, dass die Kostenschätzung vor allem deswegen so positiv für DEAL ausfällt, weil das Wachstum der Hybrid OA Artikel stark überschätzt wird. Ein fortgesetztes
exponentielles Wachstum würde bedeuten, dass innerhalb weniger Jahre alle Autoren – unabhängig von DEAL (!)- in allen Springer und Wiley Zeitschriften beinahe ausschließlich OA Publizieren würden. Diese Annahme ist nicht realistisch. Da Hybrid-Kosten dezentral
bezahlt werden/wurden und Bibliotheken tendenziell von diesem Modell abgeraten haben („Double Dipping“), ist irgendwann das Eintreten einer Sättigung zu erwarten und vermutlich vorher schon ein Absinken der Zuwachsraten. Viel realistischer ist es daher, ein
logistisches Wachstum anzunehmen, das obiger S – Kurve („Logistic“) folgt. Herr Dér hatte im Webinar darauf hingewiesen, dass der exponentielle Zuwachs der OA Artikel im Modell begrenzt werden kann, indem man die Zielmarke für
OA Publikationen deutschlandweit insgesamt im Szenario „BMBF Ziel“ anpasst. Leider ändert das nichts am exponentiellen Verlauf der Kurve: [Abbildung 2]
Auch hier liegt die exponentielle Kurve immer höher als die logistische und macht damit das DEAL Szenario immer kostengünstiger, als es realistischer Weise
zu erwarten wäre. Es wäre daher dringend erforderlich, dass eine Version zum Download bereitstünde, die nicht schreibgeschützt ist und in der man die exakten Formeln nachvollziehen
kann, um das zu klären. In dieser Form ist das Modell meiner Ansicht nach nicht geeignet, für die eigene Einrichtung realistische Kostenschätzungen vorzunehmen. Die Zahl der künftigen Hybridartikel ist eine der entscheidenden, wenn nicht die entscheidende
Variable im Modell, die festlegt wie sich DEAL finanziell auswirkt. Auch weitere Punkte würden klarer, wenn der datenerzeugende Mechanismus im Modell offengelegt würde:
Mich würde auch interessieren wie die Kolleginnen und Kollegen hier über das Kostenmodellierungstool denken, liege ich hier falsch?
Mit besten Grüßen
Georg Schwesinger
Dr. Georg Schwesinger Fachreferent für Medizin, Biologie und Wirtschaftswissenschaften Universitätsbibliothek Heidelberg
Von: Geschuhn, Kai Karin <geschuhn@mpdl.mpg.de> Liebe Kolleg*innen, die deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen stehen vor der Herausforderung ihr Publikationsaufkommen, und damit die Kosten der Open Access-Transformation, mittel- und langfristig abzuschätzen. Um die DEAL-Vertragskosten außerdem
zu bewerten und mit einer Kostenentwicklung ohne DEAL-Vertrag zu vergleichen, fehlt es bislang an belastbaren Informationen darüber, was die deutschen Wissenschaftseinrichtungen vor den DEAL-Verträgen insgesamt für die Verlagsservices ausgegeben haben, allen
voran für das hybride Open Access-Publizieren, das in der Regel nicht aus den Bibliotheksbudgets finanziert wurde.
Um diese Lücke zu schließen, steht den Wissenschaftseinrichtungen ab heute das DEAL Kostenmodellierungstool zur Verfügung. Mithilfe des interaktiven, Excel-basierten Werkzeugs können Einrichtungen nun ihre Ausgabenentwicklung bei den Verlagen
Wiley und Springer Nature auf Basis von realitätsbasierten Trenddaten und unter Annahme verschiedener Szenarien kalkulieren und diese Projektionen mit ihren DEAL-Vertragskosten vergleichen. Das Tool erlaubt nicht nur einrichtungsspezifische Projektionen, sondern
zeigt auch den Kostenverlauf für Deutschland insgesamt und für einzelne Bundesländer.
Begleitend dazu erscheint heute das Diskussionspapier „Das DEAL Kostenmodellierungstool. Ein praktischer Beitrag zur Bewertung von Wirkung und Kosten hinter transformativen Verlagsverträgen“, das die wichtigsten Ansätze, Visualisierungen
und Erkenntnisse aus dem Tool zusammenfasst:
http://hdl.handle.net/21.11116/0000-0008-EEBB-A Alle Informationen zum Tool inklusive der Download-Links finden Sie unter: https://deal-operations.de/das-ist-der-deal/deal-kostenmodellierungstool
Melden Sie sich außerdem zu einem „How to“-Webinar an. Wir bieten drei Termine an, das erste Webinar findet bereits morgen (29. Juli, 10.00-11.00 Uhr) statt: https://deal-operations.de/veranstaltungen/deal-kostenmodellierungstool-how-to-webinare Mit besten Grüßen aus München Kai Geschuhn Ms Kai Geschuhn Max Planck Digital Library/ MPDL Services GmbH |
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