Subject: [IP-OA_Forum] Open-Choice-Vorschlag und OA-Kostenstrategie
[ca. 2 Seiten]
Liebe Listenteilnehmer,
wie in den News am 5.10.2007 zu lesen war, hat die Universitaet
Goettingen mit Springer eine Vereinbarung getroffen, nach der die
Artikel von Wissenschaftlern der Georg-August-Universitaet
Goettingen im Internet automatisch ueber Springer Open Choice
publiziert werden. Deren Lektuere in der vergangenen Woche ist fuer
mich der Anlass, eine noch frische Idee, die in Bezug auf
Konsortialvertraege eine aehnliche Zielsetzung verfolgt,
vorzustellen und mit einigen aktuellen Statements zu versehen.
Die Ausgangslage:
Der gruene Weg bleibt weiterhin beschwerlich, nachdem die EU durch
Intervention der Verlags-Lobby in der "Communication" vom 15.
Februar nicht dem (eigenen) Vorschlag A1 des EC Report 2006 fuer ein
"OA Mandate" fuer oeffentlich gefoerderte Forschung folgen mochte.
Von den Verlagen sind bezueglich der Selbstarchivierung von
Postprints eher Schwierigkeiten und Rueckzieher als weitere
Zugestaendnisse zu erwarten. (Elsevier laesst sich zum Beispiel die
Freigabe nicht editierter(!) Postprints des HHMI (Howard Hughes
Medical Institute) nach einer Embargofrist von sechs Monaten teuer -
mit Preisen zwischen $1000 und $1500 pro Artikel - bezahlen
[Richard Poynder: Open Access, p. 22-23 -
http://dialspace.dial.pipex.com/town/parade/df04/The_War_in_Europe.pdf ])
Auf der Golden Road ging es bisher zwar schneller voran, doch bei
BioMed Central und PLoS hat das Wachstum nach dem Ausstieg der Yale
University bei BioMed Central erneut einen Daempfer erfahren, und
die Etablierung neuer, qualitativ anspruchsvoller OA-Zeitschriften
braucht nun mal eine gewisse Zeit. Andrerseits sind die fuer ein
qualitativ hochwertiges Publizieren notwendigen Infrastrukturen bei
den traditionellen Zeitschriftenverlagen bereits vorhanden. Was
liegt also naeher, als die hybride Variante des goldenen Weges
(Subskriptionszeitschriften mit Open-Choice-Option) auszubauen und
einzubeziehen.
Der Vorschlag:
Die Bibliotheken des Bibliotheksverbundes/ des Bundeslandes X
vereinbaren mit dem Zeitschriftenverlag Y einen laengerfristigen
Konsortialvertrag mit nachstehendem Inhalt:
Fuer die laengerfristige Vertragsbindung erhalten die beteiligten
Bibliotheken/ Universitaeten anstelle des bisher ueblichen Zugriffs
auf die uebrigen im Konsortium gehaltenen Zeitschriften folgende
Gegenleistung: Die Artikel der Wissenschaftler der beteiligten
Universitaeten, die waehrend der Vertragsdauer in Zeitschriften des
Verlags publiziert werden, werden dort ohne Zusatzkosten "Open
Choice" publiziert und duerfen zusaetzlich in den Repositorien der
beteiligten Institutionen gespeichert werden.
Die Bibliotheken sollten in Verhandlungen im Notfall eher
quantitative Begrenzungen bei Open Choice hinnehmen als Aufschlaege
auf den Gesamtpreis der abonnierten Zeitschriften akzeptieren (s.
Kommentare).
Kommentare:
Wenn Bibliotheken und Universitaeten Open Access wirklich wollen,
muesste der Tausch der Verlagsleistung ihnen dieses wert sein. Der
Vorschlag konkurriert finanziell nicht mit anderen Projekten der
Realisierung von Open Access. Er dient nicht zuletzt im Sinne von
Open Access der Verbesserung der Forschung und der Steigerung des
Renommees, da die Sichtbarkeit und Beachtung der eigenen
Publikationen erhoeht wird.
Diese Loesung ist wie nur wenige andere ohne Zusatzkosten
realisierbar und kann insoweit auch auf eine hohe Akzeptanz auf
wissenschaftlicher Seite rechnen, als keine direkte Einschraenkung
der Literaturversorgung (durch Stornierungen) damit verbunden ist.
Wollte man auch den bisherigen Hauptvorteil der Konsortialvertraege
- einen erweiterten Zugriff - haben, muesste man vermutlich
zuzahlen. Mehrkosten deckende Zuzahlungen fuer Open Access - aus
Finanzierungsfonds (von BioMed Central als Finanzierungsinstrument
beworben), aus Mitteln der Fakultaeten bzw. Institute oder aus
Foerdermitteln - sind aber das, was unter allen Umstaenden vermieden
werden muss, da dadurch Erfolg und Nachhaltigkeit der Open-Access-
Strategie verdorben werden: Man loest (vordergruendig) das Access
Problem, indem man das Affordability Problem (bezogen auf die
Gesamtinstitution bzw. das Gesamtsystem) verschaerft! Oder etwas
salopp formuliert: Der freie Zugang ist nur die halbe Miete, wenn
Information dadurch teurer wird.
Anmerkung:
Mit der Uebernahme oder Verbreitung der eingaengigen These
"Publikationskosten sind Forschungskosten" erweisen viele OA-
Anhaenger in guter Absicht der Wissenschaft und letztlich auch der
Open-Access-Bewegung einen schlechten Dienst: Als Folge werden
zusaetzliche Mittel aus Forschungsetas in das Publikationssystem
eingespeist. Selbst wenn dann die Etats der Bibliotheken gekuerzt
werden, werden die Verlage unter dem Strich einiges mehr an
Einnahmen in ihrem Saeckel haben. Diese spekulieren bereits auf das
lukrative Zusatzgeschaeft durch zusaetzliche Einnahmequellen. Hierzu
Jean-Claude Guedon: "I remember too well the satisfied laughter of
Derk Haank in Frankfurt, over a year ago, when he announced with a
visible degree of glee that he enjoyed seeing new revenue streams
coming out of the granting agencies. He was thinking about "Open
Choice" then..."
Oekonomisch sinnvoll weil kostenneutral ist nur die Finanzierung
saemtlicher Publikationsgebuehren (egal ob fuer "OA pur" oder
"hybrid") aus den fuer die Zeitschriftenfinanzierung vorgehaltenen
Mitteln, die ueblicherweise im Bibliotheksetat angesiedelt sind.
Die Theorie hierzu (zu den Kosten von Open Access):
Da sich an den Kosten fuer die Verlage praktisch nichts aendert,
darf das Publikationssystem nach partieller oder vollstaendiger
Migration zu Open Access insgesamt nicht teurer werden.
Einnahmeverluste aus Subskriptionen "externer" Kunden (Firmen,
Privatpersonen etc. ) koennen erst an das Wissenschaftssystem
weitergereicht werden, wenn sie tatsaechlich eintreten. Bei hybriden
Zeitschriften ist dies erst in einer spaeten Phase der Fall (wenn
die Subskriptionspreise sinken).
Frage / Einwand:
Handelt es sich um einen Ad-hoc-Vorschlag oder ist er Teil einer
langfristigen Strategie?
Es geht bei dem pragmatischen Ansatz darum, den Anteil der Open-
Choice-Artikel erst einmal hochzufahren (wobei auf Nachahmer-Effekte
gesetzt wird). Ist eine bestimmte Quote von Open-Choice-Artikeln,
z.B. 20%, erreicht, werden die Subskribenden nur noch fuer die
Nicht-Open-Access-Artikel zahlen wollen, und die Verlage werden
genoetigt sein, die Subskriptionspreise zu senken. Damit besteht die
Moeglichkeit, die Publikationsgebuehren auch direkt zu bezahlen und
so die Kostentransparenz zu verbesssern. Ebenso verbessern sich die
Optionsmoeglichkeiten fuer andere Finanzierungsmodelle.