Sehr geehrter Herr Der, herzlichen Dank für Ihre sehr ausführliche, informative und vor allem schnelle Antwort. Vielen Dank auch für die Klärung der kleineren Punkte am Ende der Mail, die sehr hilfreich waren. Ich möchte auch zum Ausdruck bringen, dass ich Ihren Service, ein Modellierungstool bereitzustellen das man mit eigenen Zahlen füttern kann für sehr positiv halte und ich selbst sehr daran interessiert bin. Ich teile vollkommen Ihre Ansicht, dass bei einer solchen komplizierten Projektion, wie es das Kostenmodellierungstool darstellt, immer gewisse vereinfachende Annahmen gemacht werden müssen, die nicht von allen geteilt werden können, insbesondere wenn es um Prognosen in die Zukunft geht. Ich möchte im Folgenden aber erläutern, warum es durchaus einen gravierenden Unterschied machen könnte, ob man im Modell ein exponentielles oder logistisches Wachstum für OA - Wachstum annimmt. Zu Anfang möchte ich aber nochmal darauf hinweisen, dass ich es bei einer solchen Projektion sinnvoll fände, sich auf Erfahrungswerte aus der Vergangenheit zu stützen. Die Ausbreitung von neuen Produkten/Technologien und allgemein Innovationen - als solches würde ich Hybrid OA durchaus noch bezeichnen – ist ein gut untersuchtes Phänomen. Insbesondere der S-förmige Verlauf in der Ausbreitung einer Neuerung im Markt, der in der Regel einer logistischen Kurve folgt, ist in der Innovationsforschung seit 50 Jahren ein wiederkehrendes Muster oder stylized fact und wurde immer wieder in verschiedenen Branchen und verschiedensten Produkten beobachtet (siehe dazu Rogers, E. „Diffusion of Innovations“ (1962), mittlerweile in 5. Auflage, auf diesen wird auch im zuvor verlinkten Wikipediaartikel direkt Bezug genommen). Die Literatur lässt demnach erwarten, dass es anfangs, wie sie ebenfalls annehmen, exponentielles Wachstum gibt - allerdings von einem sehr niedrigen Niveau aus - dieses schwächt sich dann aber ab, verläuft eine Zeitlang quasi linear, um letztendlich stark zu sinken und bei Wachstumsrate 0 in eine Sättigung überzugehen. Daher finde ich die Annahme im Modell, dass die anfangs hohen Wachstumsraten einfach weiter in die Zukunft weiterprojiziert werden fragwürdig. Legt man diese Literatur zugrunde, ist es nicht realistisch ein dauerhaft exponentielles, oder auch ein lineares Wachstum abzuleiten, weil auch beim linearen Wachstum keine Abschwächung /Sättigung eintritt. In beiden Fällen wird früher oder später 100% Marktdurchdringung erreicht. Diese 100% werden in der empirischen Literatur aber kaum je erreicht und sind auch im Falle der OA - Hybrid Artikel nicht realistisch, wie sie selbst sagen. Ein logarithmisches Wachstumsmodell, auf das sie in Ihrer Antwort Bezug nehmen ist mir nicht bekannt und war von mir auch nicht angeregt. Ich teile ebenfalls vollumfänglich Ihre Einschätzung, dass es praktisch unmöglich ist vorherzusagen, wann die Sättigung des Hybrid - OA Anteils im Basisszenario einträte. Das hängt sicher unter anderem von den finanziellen Möglichkeiten der Einrichtungen ab, die ja auch schon vor DEAL durch steigende Ausgaben für Gold - OA (im Modellierungstool übrigens ebenfalls als ungebremst exponentiell wachsend angenommen) und die Preissteigerungen der Subskriptionen von Jahr zu Jahr immer geringere finanzielle Spielräume hatten. Genau deswegen, sollte man hier dem Anwender die Möglichkeit geben, diesen Endpunkt direkt als Parameter einzugeben. Aktuell bietet das Modell als niedrigsten(!) Zielwert ca. 25% bis 2025, der sich aus dem ungebremsten exponentiellen Wachstum ergibt, kleinere Zielgrößen sind zumindest für mich nicht einstellbar. Weiterhin führt eine Kostenschätzung für einzelne Einrichtungen, die auf ungebremstem exponentiellen Wachstum im Modell beruht, zu jedem Zeitpunkt zu höheren Kosten als im Standardmodell, wie sie ja auch selbst zugeben. Ich kann Ihnen zudem nicht ganz folgen, wenn Sie schreiben, dass es für den Verlauf bis 2025 keine große Abweichung der Kurven gibt; das hängt entscheidend von angenommen Endpunkt/Sättigungspunkt ab. Nimmt man wie Sie an, dass der Hybrid OA Anteil im Basisszenario im Jahr 2025 bei 25% liegt, dann kommt es durchaus sehr darauf am, welchen Endpunkt und welchen Kurvenverlauf zum Erreichen des Endpunktes man annimmt. In Ihrem Beispiel wird angenommen, dass die Sättigung im Markt bei ca. 50% liegt und 2025 der Diffusionsprozess ca. zu Hälfte abgeschlossen ist und bei etwas 25% liegt [Abbildung 1]:
In diesem Fall erscheint Ihnen die Abweichung der Kurven als de facto vernachlässigbar. Die Fläche in der Mitte, die zwischen exponentieller & logistischer Kurve und der blauen Linie liegt, stellt in meiner Interpretation die kumulierte Zahl von Artikeln dar, die für eine Einrichtung zusätzlich bezahlen müsste, wenn der Verlauf tatsächlich exponentiell und nicht logistisch wäre (diese Fläche ist unter jeder Annahme größer als 0). Dies ändert sich aber massiv, wenn man beispielsweise annimmt, dass der Endpunkt der Ausbreitung von Hybrid - OA Artikeln im Basisszenario eher bei 25% liegt. Ginge man beispielsweise davon aus, dass die Diffusion bis 2025 in etwa abgeschlossen ist, und der OA Hybridanteil danach nicht mehr bedeutend wächst, dann sieht die betrachtete Fläche so aus [Abbildung 2]
Meiner Ansicht nach ist hier die zusätzliche Zahl der Artikel bzw. der Kosten für Hybrid OA (= Fläche zwischen den Kurven) ganz klar nicht mehr vernachlässigbar! Allein für die Medizin in Heidelberg, die ich als Fachreferent betreue, schätze ich, dass das über ganzen Zeitraum eine hohe zweistellige Zahl, evtl. dreistellige Zahl von Artikeln zusätzlich ergäbe. Ich kann mich daher Ihrer Einschätzung „Wir möchten damit Ihrer Aussage, dass die Entwicklung bei den Hybridartikeln „eine der entscheidenden, wenn nicht die entscheidende Variable im Modell“ sei, widersprechen“ weiterhin nicht anschließen und halte das Wachstum der Hybrid OA Artikel tatsächlich für eine sehr entscheidende Variable im Modell, zumindest, wenn man das Wachstum des Hybrid – OA derart hoch veranschlagt. Ich möchte auch nicht behaupten, dass die Entwicklung in Abbildung 2 notwendigerweise realistischer ist als in Abbildung 1, aber ich persönlich finde sie ähnlich plausibel. Für einen Nutzer des Tools wäre es aus meiner Sicht notwendig, auch ein solches Szenario berücksichtigen zu können.
Weiter unten schreiben Sie: „Wenn also die Hybrid-OA-Anteile unter dem hypothetischen "Status quo"-Szenario höher als 0% sind, wird DEAL immer das bessere Ergebnis sein, da hier eben keine zusätzlichen Gebühren "in the wild" gezahlt werden. Dies gilt grundsätzlich für die Kostenentwicklung insgesamt, aber auch für die meisten Bundesländer und für die überwiegende Zahl der Einrichtungen im DEAL-Konsortium“ Da ich mich in meinem Statement eigentlich nur auf das Kostenmodellierungstool beziehen will, würde ich dieser Aussage unter den grundsätzlichen Annahmen, die das Modell trifft, zustimmen. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass dies für eine große Zahl von vielpublizierenden Einrichtungen in dieser generalisierenden Weise wohl nicht stimmt, insbesondere dann, wenn zu den Subskriptionskosten nur geringe zusätzliche Hybrid-OA Kosten zu erwarten wären. Ihren Abbildungen aus dem Tool entnehme ich, dass sie das Modell auch so einstellen können, dass das Wachstum linear verläuft. Sehr wünschenswert wäre es, noch einen dritten Modus einzuführen, der logistisches Wachstum für einen einstellbaren Sättigungsanteil beinhaltet. Dann könnte der Anwender verschiedene Optionen durchspielen und die Werte für OA – Wachstum einstellen, die er für sinnvoll oder plausibel hält (auch das GOLD- OA Wachstum sollte sich ja perspektivisch ändern können). Unabhängig davon möchte ich nochmal erwähnen, dass ich es aus Gründen der Transparenz schon angebracht fände, das Tool ohne Schreibschutz benutzen zu können, auch um eigene Annahmen gezielter modellieren zu können. Leider sind Sie darauf in Ihrer Antwort nicht eingegangen. Ich glaube durchaus, dass das Exelfile sehr kompliziert ist, wenn man es aber versehentlich beim modifizieren „zerschießt“, könnte man es ja gleich wieder herunterladen. Ich würde mich sehr über eine erneute Antwort von Ihnen freuen, ich gehe heute in Urlaub und wünsche auch Ihnen einen erholsamen Solchen, sollten Sie noch keinen genommen haben!
Mit freundlichen Grüßen, Georg Schwesinger
Dr. Georg Schwesinger Fachreferent für Medizin, Biologie und Wirtschaftswissenschaften Universitätsbibliothek Heidelberg
Von: Dér, Ádám <der@mpdl.mpg.de>
Gesendet: Donnerstag, 12. August 2021 10:04 An: Expertenforum für die Informationsplattform Open Access (http://open-access.net/) Cc: Schwesinger, Dr. Georg Betreff: AW: Die Kosten der Open Access-Transformation modellieren und vergleichen - MPDL Services GmbH stellt DEAL Kostenmodellierungstool bereit Sehr geehrter Herr Dr. Schwesinger,
vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein detailliertes Feedback zum DEAL Kostenmodellierungstool genommen haben. Da ich die Datengrundlage und Berechnungsmechanismen des Tools mit entwickelt habe, möchte ich gerne direkt auf Ihre methodischen Bedenken eingehen.
Sie beanstanden, dass das Tool für hybride OA-Publikationen ein exponentielles Wachstum projiziert, da die durchschnittliche Wachstumsrate in den Jahren vor den DEAL-Verträgen zugrunde gelegt wurde. Tatsächlich war die Entscheidung für diese Methodik das Ergebnis intensiver Diskussionen im Vorfeld der Veröffentlichung des Tools, und ich möchte Ihnen die Gründe hierfür gerne erläutern. Dabei wird sich zeigen, dass es für die Berechnungszeiträume des DEAL Kostenmodellierungstools de facto keinen Unterschied macht, ob mit exponentiellem oder linearem Wachstum kalkuliert wird.
Der Hauptgrund für die Entscheidung zur Annahme eines exponentiellen Wachstums bei hybriden („double dipping“-) OA-Publikationen liegt in der Beobachtung der Entwicklung in den Vorjahren. Hätten wir uns für ein lineares oder sogar logarithmisches Wachstum entschieden, so würde das den Trends widersprechen, die seit längerem global beobachten werden können.
Sieht man sich die öffentlich zugänglichen Unterlagen wie Jahresberichte, Gewinnaufrufe, Aktionärspräsentationen usw. an, so lässt sich feststellen, dass beispielsweise Wiley in den letzten Jahren kontinuierlich "starke zweistellige Wachstumsraten" für Open-Access-Inhalte (und Einnahmen) berichtet hat, siehe z. B. · https://s27.q4cdn.com/812717746/files/doc_financials/2019/q4/Q419-Earnings-Presentation.pdf · https://s27.q4cdn.com/812717746/files/doc_presentation/2020/Q420-Earnings-Presentation-FINAL-(1).pdf · https://s27.q4cdn.com/812717746/files/doc_financials/2021/q4/Q421-Earnings-Presentation-Final.pdf Ein "starkes zweistelliges Wachstum" in mehreren aufeinanderfolgenden Jahren kann demnach durchaus über einem linearen Wachstum liegen. Letztlich ließe sich aber auch entgegnen, dass selbst dann, wenn dadurch die Wachstumsraten für Hybrid für die kommenden Jahre überschätzt würden, auch jede andere Annahme, in der das Wachstum geringer ausfiele, als ebenso "rein hypothetisch" angesehen werden müsste. Es liegt in der Natur der Sache, dass jeder Versuch einer Vorhersage für die Zukunft von bestimmten Annahmen ausgeht, die möglicherweise nicht von allen so geteilt werden.
Wir möchten Ihnen jedoch insofern zustimmen, dass man sicher davon ausgehen (und dies wurde sowohl intern, mit mehreren Verlagen, als auch innerhalb der ESAC-Datengruppe diskutiert), dass der Hybrid-Anteil auf einem bestimmten Niveau stagniert, dass also eine Sättigung eintritt, und es gab auch Überlegungen, hierfür ein Maximum im Tool zu definieren, doch dann stellt sich wiederum die Frage, welcher Wert hierfür auf welcher Grundlage angenommen werden müsste. Da sich hierfür keine valide datengestützte Methodik festmachen ließ, haben wir letzten Endes darauf verzichtet.
Wie bereits im Webinar diskutiert, kann das Szenario "x% OA bis 2025" aber in der Tat so verwendet werden, dass der Endpunkt der hypothetischen OA-Anteile im Jahr 2025 ein Niveau widerspiegelt, das dem/ der jeweiligen Anwender*in am realistischsten erscheint - das ist sicherlich nicht das perfekteste Instrument, aber damit wird Ihren Bedenken zumindest in Teilen Rechnung getragen.
Tatsächlich liegen die Hybrid-Anteile für beide Verlage im Jahr 2025 auch bei exponentiellem Wachstum bei etwa 25% - was unserer Ansicht nach ein durchaus vorstellbarer Wert für die hybriden OA-Anteile in einer Zukunft ohne DEAL-Vertrag ist.
Entscheidend ist jedoch darüber hinaus, dass die Effekte des zugrunde gelegten exponentiellen Wachstums im Vergleich zu einem logarithmischen Wachstum in unserem Kontext tatsächlich weniger drastisch sind, als man vielleicht auf Anhieb vermuten würde, zumindest für die in dem Tool gezeigten Projektionen bis 2025. Wie Sie selbst feststellen, gibt es für die erste Verlaufsphase keine große Abweichung der Kurven.
Würden die Wachstumsraten in der Tool-Berechnung entsprechend Ihrem Vorschlag geändert, so sähen die Projektionen für Deutschland im Vergleich folgendermaßen aus:
Wir möchten damit Ihrer Aussage, dass die Entwicklung bei den Hybridartikeln „eine der entscheidenden, wenn nicht die entscheidende Variable im Modell“ sei, widersprechen.
Maßgeblicher Faktor für die Kostenentwicklung ist vielmehr die Tatsache, dass, während unter dem "Status quo" alle Kosten für hybride Open-Access-Publikationen als zusätzliche Kosten zu den Subskriptionsausgaben anfielen (unabhängig davon, ob sie unter der Kontrolle der Bibliothek standen oder nicht), diese unter DEAL in einer einzigen Gebühr erfasst werden. Wenn also die Hybrid-OA-Anteile unter dem hypothetischen "Status quo"-Szenario höher als 0% sind, wird DEAL immer das bessere Ergebnis sein, da hier eben keine zusätzlichen Gebühren "in the wild" gezahlt werden. Dies gilt grundsätzlich für die Kostenentwicklung insgesamt, aber auch für die meisten Bundesländer und für die überwiegende Zahl der Einrichtungen im DEAL-Konsortium.
Dabei ist es keineswegs das Anliegen des Tools zu „beweisen“, dass DEAL der bessere Weg ist. Ziel ist es, den Einrichtungen eine einheitliche Datenbasis und einen Modellierungsrahmen zur Verfügung zu stellen, um ihre mittelfristigen Ausgabenentwicklungen zu kalkulieren und Finanzierungslücken, die sich aus der Neuverteilung der Ausgaben nach dem Publikationskostenmodell ergeben können, zu identifizieren. Ihr Feedback ist aus diesem Grund sehr wertvoll und ich hoffe, dass meine Ausführungen verständlich waren und zu einem gemeinsamen Verständnis beigetragen haben.
Um auch Ihre weiteren Punkte noch zu adressieren: · Es wurden durchweg Nettokosten zugrunde gelegt. · Gold OA APCs: Leider liegen keine belastbaren Daten zu durchschnittlichen Rabatten aufgrund von Mitgliedschaften und anderen Vereinbarungen, die Einrichtungen individuell treffen, vor, ansonsten hätten wir diese verwendet, was selbstverständlich aber nicht bedeutet, dass es sie nicht gibt. Erwähnt wird dies auch in der Methodik des Tools. · PAR Fee: Diese wird tatsächlich bis 2025 als konstant angenommen. · Contentzuwachs: dieser Wert kann auf jeden beliebigen Wert geändert werden, den die Benutzer*innen für angemessen halten. · Datengrundlage: wir erwähnen dies auch in der Methodik: „Gesamtzahl der Artikel und Reviews von korrespondierenden Autor*innen aus Deutschland, die zwischen 2015 und 2019 in Zeitschriften veröffentlicht wurden, die unter die DEAL-Vereinbarung fallen.“ · Szenarien: Die Szenarien basieren auf einer validen Datengrundlage und ihre Parameter lassen sich, wie schon erwähnt und wie im Tool beschrieben, durchaus verändern und an die eignen Gegebenheiten anpassen. Wie bereits dargestellt ist es nicht das Ziel des Tools, irgendetwas in irgendeinem Licht darzustellen. Ich möchte hier abschließend aus den Diskussionspapier zitieren: „Das DEAL Kostenmodellierungstool ist aber wesensbedingt nur ein Instrument und Hilfsmittel. Es ersetzt nicht die Debatten in Bezug auf zukünftige Organisation und Finanzierung, die an den einzelnen Einrichtungen und im Dialog mit den Unterhaltsträgern noch geführt werden müssen.“ Bei weiteren Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen, Adam Der
-- Adam Der Licence Management E-Mail: der@mpdl.mpg.de Max Planck Digital Library (MPDL) Tel: +49-89-909311-278 Amalienstr. 33, D-80799 München http://www.mpdl.mpg.de
Von: Schwesinger, Dr. Georg <Schwesinger@ub.uni-heidelberg.de>
Sehr geehrte Frau Geschuhn, vielen Dank für die Links zum Kostenmodellierungstool der MPDL. Nachdem ich mir das Tool gründlich angesehen habe, halte ich einen wesentlichen Punkt im Modell für sehr kritisch und befürchte, dass dadurch unrealistische Ergebnisse für die 5 Szenarien produziert werden, die in allen Fällen Prognosen zugunsten der DEAL Kostenschätzung erzeugen. Herr Dér, der wohl auch an der Konstruktion des Modells mitgewirkt hat, hat im How-To-Webinar am 29.7. bestätigt, dass das Modell ein exponentielles Wachstum für die Zahl der Hybrid OA Artikel annimmt. Dies kommt dadurch zustande, dass die durchschnittliche Wachstumsrate der Jahre vor DEAL (in der Frühphase der Transformation), für die ja Daten vorliegen, 1:1 in die Zukunft projiziert wird. Angenommen werden Raten von ca. 20 % Zuwachs pro Jahr (bei Springer 18,3 bei Wiley 21,5). Diese Annahme ist rein hypothetisch, es wären diverse andere Formen von Wachstum, z.B. lineares Wachstum denkbar, leider wird die Annahme eines exponentiellen Verlaufs nirgends näher begründet. Tatsächlich wird in der Innovationsforschung logistisches Wachstum und kein exponentielles Wachstum erwartet, wenn es um die Ausbreitung von Neuerungen in einem Markt geht. Dies ist auch empirisch gut belegt (die englischsprachige Wikipedia liefert hier einen guten Einstieg und zugehörige Verweise zur umfangreichen Literatur: Standardmodell für Diffusion von Innovationen nach Rogers: https://en.wikipedia.org/wiki/Diffusion_of_innovations).
In einer graphischen Darstellung sieht das so aus [Abbildung 1]:
In der Frühphase der Transformation sind beide Kurven identisch, dann sinkt aber die Zahl der Autoren, die Hybrid – OA wählen im Standardmodell deutlich ab, während sie sich beim exponentiellen Verlauf im Kostenmodellierungstool noch beschleunigt. Ich nehme an, dass die Kostenschätzung vor allem deswegen so positiv für DEAL ausfällt, weil das Wachstum der Hybrid OA Artikel stark überschätzt wird. Ein fortgesetztes exponentielles Wachstum würde bedeuten, dass innerhalb weniger Jahre alle Autoren – unabhängig von DEAL (!)- in allen Springer und Wiley Zeitschriften beinahe ausschließlich OA Publizieren würden. Diese Annahme ist nicht realistisch. Da Hybrid-Kosten dezentral bezahlt werden/wurden und Bibliotheken tendenziell von diesem Modell abgeraten haben („Double Dipping“), ist irgendwann das Eintreten einer Sättigung zu erwarten und vermutlich vorher schon ein Absinken der Zuwachsraten. Viel realistischer ist es daher, ein logistisches Wachstum anzunehmen, das obiger S – Kurve („Logistic“) folgt. Herr Dér hatte im Webinar darauf hingewiesen, dass der exponentielle Zuwachs der OA Artikel im Modell begrenzt werden kann, indem man die Zielmarke für OA Publikationen deutschlandweit insgesamt im Szenario „BMBF Ziel“ anpasst. Leider ändert das nichts am exponentiellen Verlauf der Kurve: [Abbildung 2]
Auch hier liegt die exponentielle Kurve immer höher als die logistische und macht damit das DEAL Szenario immer kostengünstiger, als es realistischer Weise zu erwarten wäre. Es wäre daher dringend erforderlich, dass eine Version zum Download bereitstünde, die nicht schreibgeschützt ist und in der man die exakten Formeln nachvollziehen kann, um das zu klären. In dieser Form ist das Modell meiner Ansicht nach nicht geeignet, für die eigene Einrichtung realistische Kostenschätzungen vorzunehmen. Die Zahl der künftigen Hybridartikel ist eine der entscheidenden, wenn nicht die entscheidende Variable im Modell, die festlegt wie sich DEAL finanziell auswirkt. Auch weitere Punkte würden klarer, wenn der datenerzeugende Mechanismus im Modell offengelegt würde:
Mich würde auch interessieren wie die Kolleginnen und Kollegen hier über das Kostenmodellierungstool denken, liege ich hier falsch? Mit besten Grüßen Georg Schwesinger
Dr. Georg Schwesinger Fachreferent für Medizin, Biologie und Wirtschaftswissenschaften Universitätsbibliothek Heidelberg
Von: Geschuhn, Kai Karin <geschuhn@mpdl.mpg.de>
Liebe Kolleg*innen,
die deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen stehen vor der Herausforderung ihr Publikationsaufkommen, und damit die Kosten der Open Access-Transformation, mittel- und langfristig abzuschätzen. Um die DEAL-Vertragskosten außerdem zu bewerten und mit einer Kostenentwicklung ohne DEAL-Vertrag zu vergleichen, fehlt es bislang an belastbaren Informationen darüber, was die deutschen Wissenschaftseinrichtungen vor den DEAL-Verträgen insgesamt für die Verlagsservices ausgegeben haben, allen voran für das hybride Open Access-Publizieren, das in der Regel nicht aus den Bibliotheksbudgets finanziert wurde.
Um diese Lücke zu schließen, steht den Wissenschaftseinrichtungen ab heute das DEAL Kostenmodellierungstool zur Verfügung. Mithilfe des interaktiven, Excel-basierten Werkzeugs können Einrichtungen nun ihre Ausgabenentwicklung bei den Verlagen Wiley und Springer Nature auf Basis von realitätsbasierten Trenddaten und unter Annahme verschiedener Szenarien kalkulieren und diese Projektionen mit ihren DEAL-Vertragskosten vergleichen. Das Tool erlaubt nicht nur einrichtungsspezifische Projektionen, sondern zeigt auch den Kostenverlauf für Deutschland insgesamt und für einzelne Bundesländer.
Begleitend dazu erscheint heute das Diskussionspapier „Das DEAL Kostenmodellierungstool. Ein praktischer Beitrag zur Bewertung von Wirkung und Kosten hinter transformativen Verlagsverträgen“, das die wichtigsten Ansätze, Visualisierungen und Erkenntnisse aus dem Tool zusammenfasst: http://hdl.handle.net/21.11116/0000-0008-EEBB-A
Alle Informationen zum Tool inklusive der Download-Links finden Sie unter: https://deal-operations.de/das-ist-der-deal/deal-kostenmodellierungstool
Melden Sie sich außerdem zu einem „How to“-Webinar an. Wir bieten drei Termine an, das erste Webinar findet bereits morgen (29. Juli, 10.00-11.00 Uhr) statt: https://deal-operations.de/veranstaltungen/deal-kostenmodellierungstool-how-to-webinare
Mit besten Grüßen aus München Kai Geschuhn
Ms Kai Geschuhn Max Planck Digital Library/ MPDL Services GmbH
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