Lieber Herr Kohle, liebe Runde,ich befürworte die Richtung „in öffentliche Hände legen” für die wissenschaftlichen Publikationen schon lange. Wissenschaft ist fast immer eine öffentliche Angelegenheit und ich halte die Kosten der Wissenschaftsverlage für im wesentlichen von Marketing, Infrastruktur (derzeit kostenträchtige Umstellung auf ePublishing), Gewinnzwang etc. verursacht. Es geht um ca. 500 Mio/a, die im deutschen Wissenschaftspublikationssystem aus diversen öffentlichen Quellen finanziert werden. Das ist ein Kuchen, in dem es sich für die kommerziellen Akteure lohnt!Wirkliche Redaktionsarbeit wird aber von fast keinem Wissenschaftsverlag mehr gemacht, sondern dies wird von den ehrenamtlich tätigen Herausgebern und deren Mitarbeitern/Hilfskräften in der Wissenschaft übernommen. Die deutschen Universitätsbibliotheken steigen bekanntlich - im Zusammenhang mit den Möglichkeiten der Internetpublikation und auch der Umorientierung der DFG - derzeit in diesen Bereich der Wissenschaftspublikation ein. Das zeigt, daß die Richtung auch tatsächlich in „in öffentliche Hände legen” geht.Zusammen mit meinen Mitherausgebern habe ich ein neues OA eJournal für die digitalen Altertumswissenschaften gegründet (Digital Classics Online: http://digital-classics-online.eu/): Wir bekommen eine gute Anschubfinanzierung von der DFG, aber wir haben uns auch verpflichtet, danach mit eigener Kraft und Haushaltsmitteln weiterzumachen (Herausgeber, Mitarbeiter, Hilfskräfte). Da das nach meiner - langjährigen - Erfahrung sowieso der alltäglichen Realität der Redaktionsarbeit entspricht, bin ich auch zuversichtlich, das wir das schaffen.MbGCharlotte Schubert
Prof. Dr. Charlotte SchubertLehrstuhl für Alte GeschichteHistorisches SeminarUniversität LeipzigBeethovenstr. 1504107 Leipzigemail: schubert@uni-leipzig.deTel.: 0341/9737071 und 0178/8324518
Am 04.09.2015 um 09:32 schrieb Hubertus Kohle <hubertus.kohle@gmail.com>:Schöne Grüße an alle.Liebe alleich bin nicht über die Einzelheiten der Kostenkalkulationen informiert und auch nicht über die der sich darum herum rankenden Diskussionen, stelle aber folgende Frage: Wer legt eigentlich diese exorbitante Höhe fest? Wir machen ja in München die sehepunkte. Da kommen im Jahr ca. 1000 Texte zusammen. Das wird von einer Reihe von Herausgebern und verteilten Redakteuren gemacht, die das umsonst erledigen (wie überall in diesem Geschäft, ob OA oder traditionell), zentral von einem halben wiss. MA und ein paar Hilfskräften. Zusammen mit den Serverkosten sind das ca. 50.000 Euro im Jahr, also 50 Euro pro Rezension. Okay, das sind keine ausgewachsenen Aufsätze und wir machen auch kein double blind peer review (ein Fetisch, der nur verhindert, dass man sich mehr mit nachgelagerten Bewertungsmethoden beschäftigt, die im Internet sowieso anstehen), aber zwischen 50 Euro und den mehreren Tausend, von denen da immer so die Rede ist, klafft ja auch eine Riesenlücke. Es ist doch kein Wunder: Wenn man die Verlage berechnen lässt, was das kostet, ist es natürlich viel. Vielleicht müssen wir das Publikationsgeschäft doch in öffentliche Hände bekommen!
Hubertus Kohle_______________________________________________Am 4. September 2015 um 09:00 schrieb Prof. Dr. Charlotte Schubert <schubert@uni-leipzig.de>:Liebe Kollegen, zwar als Neuling in Ihrer Runde, aber doch auch schon länger in diesem Feld unterwegs, möchte ich aus der Perspektive einer Wissenschaftlerin und Vertreterin eines der sog. Kleinen Fächer dazu nur folgendes bemerken:- Kosten für die Publikation eines Artikels in Höhe von > 1000 Euro würden auf einen Schlag den gesamten Haushaltsetat meines Lehrstuhls für ein Jahr auf einen Etat für Bleistifte reduzieren.- Die durch die DFG anfinanzierten Publikationsfonds der UBs sind - nach meiner Kenntnis - von den Naturwissenschaftlern schon komplett belegt.- Die universitären Haushalte können das nicht übernehmen - die meisten sind längst an ihren Grenzen angekommen.Fazit: Wir als Wissenschaftler müßten diese Kosten privat tragen. Soll das die Zukunft unseres wissenschaftlichen Publikationswesens sein??Mit freundlichen Grüßen in die RundeCharlotte Schubert
Prof. Dr. Charlotte SchubertLehrstuhl für Alte GeschichteHistorisches SeminarUniversität LeipzigBeethovenstr. 1504107 Leipzigemail: schubert@uni-leipzig.deTel.: 0341/9737071 und 0178/8324518
Am 04.09.2015 um 08:42 schrieb Ulrich Herb <u.herb@scinoptica.com>:Hallo Herr Reckling,
als jemand, der keine Karriere in der Wissenschaftsbürokratie machen wird, kann
ich unbeschwert ausformulieren.Psychologie, Moral oder "falsches Bewußtsein" bei WisssenschafterInnen mag
einiges erklären, an der Sache ändert es, so fürchte ich, wenig:
Es wird immer intedierte und nicht-intendierte Folgen von Interventionen (z.B.
APC-Erstattung) geben, aber bevor man eine Intervention beginnt, ist es
hilfreich sich zu überlegen welche Folgen durch die neuen Anreize produziert
werden können. So gesehen würde ein wenig Psychologie (Spieltheorie) oft nicht
schaden.1) Gute Publikationsformate kosten etwas, ob kommerziell oder nicht
nicht-kommerziell. Es ist gerade das Problem vieler gut gemeinter
Initiativen, dass sie offenbar davon ausgehen, professional publishing wäre
nahezu gratis zu haben. Das erklärt auch, warum viele OA Journals
nahezu leer sind.
Was bei CELL etc. was kostet ist v.a. der Profit > 30%. Und Qualität gibt es
selten kostenlos, aber doch ohne APCs: Stellvertretend sei mal fqs
http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs genannt. Statt die big five zu
alimentieren und die Konzentration im Publikationsmarkt zu forcieren
[http://www.heise.de/tp/news/Wissenschaftsjournale-Konzentration-Karriere-und-Kommerz-2721572.html],
sollte man lieber non-profit-OA à la fqs fördern.2) Kommerziell ist nicht gleich böse/schädlich und nicht-kommerziell gleich
gut/nützlich.
Nicht per se, das stimmt, aber die nachgewiesene Konzentration zugunsten
kommerzieller Verlage (s.o.), die übertriebene Gewinne einstreichen (und dies
nun auch im OA machen), ist ganz sicher schlecht, weil dysfunktionial und eine
naive APC-Politik fördert diese Dysfunktionalität.3) Richtig ist, dass es für eine Preisbildung nach dem Leistungsprinzip mehr
Wettbewerb und Kostentransparenz braucht. Insofern sind die Zahlen > des FWF
doch noch recht ermutigend: (a) Es gibt noch eine Reihe von Anbietern (inkl.
kleinere), die sich den Markt teilen. (b) Der
Durchschnittspreis pro Artikel von € 1.200 liegt weit unter dem von
Subskriptionszeitschriften.
Ich sehe nicht wie die APC-Politik des FWF Transparenz schafft. Und ich
wiederhole mich, die Schaffung solcher APC-Förderung ist hoch reaktiv und wird
den Markt zugunsten steigender APCs ändern - sie schaffen die Anreize dazu. Wir
können uns in zehn Jahren gern den Schaden ansehen, der gerade geschaffen wird.
Viele Grüße
Ulrich Herb
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Prof.Dr.Hubertus Kohle
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